14 April 2015

Über Betroffenheit und laute Stimmen im Netz

Foto: Casandra Krammer

Mir geht es schlecht. Nicht immer und auch nicht oft, aber es passiert. Und meistens hat dieses Unwohlsein mit meiner Arbeit als Grafikerin zu tun.
Es ist nicht immer leicht, so in der Öffentlichkeit zu stehen. Man präsentiert sich, wird von anderen gesehen, es werden Inhalte geteilt, Tweets getweetet, Fotos auf Instagram geteilt oder Kommentare auf Facebook gepostet. Für jemanden, der sich fast ausschließlich über das Internet vermarktet, ist es schwer, irgendwie Distanz zu bekommen.
Warum die Distanz? Nun, ich bin ein Mensch, und muss zugeben, ein relativ emotionaler dazu. Ich beneide, werde beneidet, fühle mich ausgegrenzt und grenze unbewusst aus. Neid, Hass, Freude. Alles liegt nur einen Mausklick voneinander entfernt.
Und manchmal bin ich diesem Druck nicht gewachsen
Zu sehen, wie das Leben allen anderen so leicht von der Hand geht, zu hören „ich lebe meinen Traum“ und selber irgendwie am Rande zu kriechen, nichts wirklich gebacken zu bekommen und trotzdem will man nicht aufgeben, weil man sonst ganz verloren hat, ist verflucht schwer.

Und es ist zynisch, denn ich weiß: Den Wenigsten fällt das Leben leicht.
Aber sie tun, was alle tun, auch ich, sie lassen es einfach aussehen. Und das nagt an mir. Und genau darüber, darüber, dass es an mir nagt, schreibe ich nicht. Ich schweige.
Zu zeigen, dass es für mich auch harte Zeiten gibt, fällt mir schwer. Ich rede viel und gerne, aber wenn es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben geht, um die, die mich nachts wach halten, die, die mich weinen lassen, obwohl sie eigentlich nicht so dramatisch aussehen, sich aber in meiner Brust anfühlen wie tausend explodierende Sterne, schweige ich. Unbewusst. Aber dafür konsequent.
Und nicht nur mit persönlichen Dingen geht es mir so, auch bei tragischen Sachen aus der Öffentlichkeit halte ich mich meistens bedeckt. Und eigentlich ist dieses Schriftstück hier ein Paradoxon, weil ich damit ein Statement abgebe, obwohl ich mich ja eigentlich in Schweigen hüllen will.
Sachen aus der Öffentlichkeit? Was heißt das?
ALS - Ice Bucket Challenge, Germanwings, Isis Terrorismus ... 
Die Liste der Dinge, bei dem die Menschen nicht aufhören können, sich das Maul zu zerreißen, ist groß.
Als ich das erste Mal für die Challenge nominiert wurde, dachte ich kurz darüber nach, mitzumachen. Jeder hat es gemacht und es hörte sich nach Spaß an und man hat für eine gute Sache gespendet - was ich auch begrüße. Aber dann hatte ich zu wenig Zeit, habe mich in die Arbeit gehängt, mich mit für mich weitaus naheliegenderen Themen beschäftigt und irgendwann wuchs in mir der Gedanke: Ich mache es nicht!
Ich mache es nicht, weil ich keine Zeit habe, sondern weil ich es nicht will. Die Krankheit ist schrecklich, ja, aber es wird auch nicht besser, wenn ich mir einen Kübel voller Eis über die Birne kippe und jeder sich darüber lustig machen kann, wie kalt mir danach ist.
Und die Sache mit dem Flugzeugabsturz?
Ganz ehrlich? Ich habe von dem Germanwings-Flug 9525 erst sehr spät erfahren. Zum einen besitze ich kein Fernseher mehr, weil ich den ganzen Bullshit im TV nicht ertragen kann, und zum anderen hat sich tief in mir eine natürliche Barriere gegen so etwas entwickelt. Ich brauche mir keine Videos anzugucken, in denen Verschwörungstheoretiker behaupten, der Absturz sei von Angela Merkel persönlich geplant worden. Ich brauche keine Videos von trauernden Menschen, keine Theorien über einen Terroranschlag, keine Debatten darüber, ob Depression uns zu Mördern macht – bis heute habe ich mir nichts dazu angesehen. Trotzdem kann ich mich nicht davor schützen, weil jeder darüber spricht.
Um ehrlich zu sein war ich zu der Zeit fast sauer auf die Like-geilen Menschen, die auf der Welle der hitzigen Diskussionen geschwommen sind, um ihre Like-Quote zu erhöhen, um vielleicht den Anschein zu erwecken, dass sie bessere Menschen als andere sind, weil sie sich zum Beispiel für ALS einsetzen oder weil sie R.I.P an ihre Pinnwand posten. Echte Hilfe war da nicht geboten – alles Heuchler und scheiß Moralapostel!
(Oder etwa nicht?)
Ich habe diese Haltung lange Zeit vertreten, und obwohl sie in diesem Moment für mich die wahre Position zu diesem Thema war, wusste ich tief in mir drin, dass das nicht die ganze Wahrheit ist.
Denn dazu gibt es nicht nur eine Lösung. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Es gibt (um es mal mit den Worten des Like-geilen Luders, das auch in mir schlummert, zu sagen) 50 Shades of Gründe, warum es Menschen bewegt, ein Teil von so einem Rummel zu sein. Mag sein, dass einige es machen, um die Reichweite ihrer Beiträge zu maximieren, aber vielleicht gibt es auch Menschen, die es aus wahrer Betroffenheit tun. In meinen Augen wollen wir am Ende einfach nur eins: dazugehören.
Und soll ich euch was sagen?
Das ist in Ordnung!
Ich akzeptiere sie. Ich akzeptiere die ganzen Like-me-Schlampen, ich akzeptiere die überemotionalen Menschen, die Probleme von anderen zu ihrem machen. Ich akzeptiere die politisch Motivierten, die Mitläufer, die Einzelgänger, die Betroffenen, die Verschwörungstheoretiker, die Weltverbesserer, die Kämpfer und Bekämpfe.
Ich habe erkannt, dass ich auch dazu gehöre. Ich bin wahrscheinlich ein Enthalter. Nicht nur aus Moral, sondern weil es mich wirklich peripher tangiert. Zumindest den Teil in mir, der ein Mitteilungsbedürfnis hat.
Aber auch an mir gehen solche tragischen Ereignisse nicht spurlos vorbei, auch ich muss hart schlucken, wenn ich mir vorstelle, dass meine Angehörigen in so einem Absturz verwickelt sein könnten und ich will solchen Tragödien auch nicht die Grausamkeit absprechen.
Aber wenn ich trauere, zünde ich für mich eine Kerze an, ohne direkt daraus ein #Hashtag auf Twitter zu machen.

Die einzige Frage, die sich mir dabei auftut, ist die, ob ich auch in Zukunft den Spagat schaffen werde zwischen Enthaltung und meinem eigenen öffentlichen Leben im Netz. Denn auch ich teile, denn auch ich produziere Content, denn auch ich bin auf Publikum angewiesen. Aber es fällt mir schwer, mich mitzuteilen. Es fällt mir schwer, zu twittern, wie es mir geht und was ich gerade mache, einfach, weil ich es nicht gewohnt bin, im Internet so laut zu sein.

~♥~
www.casandrakrammer.de
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