19 Mai 2013

[Gedankenkiste] Hinter der Maske ~ Ein ganz normaler Arbeitsalltag

Ironie ist das Körnchen Salz, 
das das Aufgetischte überhaupt erst genießbar macht. 
~Johann Wolfgang von Goethe 

Um kurz nach fünf klingelt mein Handywecker. Ich mache ihn aus und drehe mich wieder um, schließlich gibt mir mein zweiter Wecker noch eine Döspause von 20 Minuten.

Nachdem ich mich mit Mühe und Not aus dem Bett geschält habe, verhalte ich mich natürlich wie ein Elefant im Porzellanladen und schmeiße beim Schulbrotschmieren das Brettchen samt Messer runter, beides fällt scheppernd zu Boden. Ich vernehme ein verärgertes Grummeln aus dem Schlafzimmer meiner Eltern und stehle mich davon, bevor mir Mama- und Papatroll den Kopf abreißen können.
Morgenmuffel können echt angsteinflößend sein.

Mit Sack und Pack schwinge ich mich aufs Fahrrad und breche in Richtung Bahnhof auf. Über den Dächern der Häuser kriecht die Sonne den Horizont empor. Die Morgenluft tut gut und macht wach.
Nach 15 Minuten bin ich am Bahnhof und springe in letzter Sekunde in den vorderen Wagon. Der Schaffner kennt mich und grüßt durch die Fensterscheibe. Ich bin nämlich der Depp, der jeden Morgen die Anzeige „Bahn fährt sofort“ als einen dehnbaren Begriff wahrnimmt. Da die Bahnen nur alle Stunde fahren, warten die Schaffner hier gerne auf abgehetzte Schüler.
Ich begebe mich in meine übliche Position: Kopfhörer in den Ohren, Jacke als Kopfkissen, ein Buch in der Hand und döse vor mich hin. Ich habe eh eine knappe Stunde Fahrzeit, also kann ich in Ruhe lesen oder schlafen. Geht aber leider nicht beides gleichzeitig. So ein Ärger aber auch!

An den nächsten Stationen wird die Bahn gerammelt voll und wahnsinnig laut. Besonders die kleinen Kinder, die herumkreischen und mit ihren Handy daddeln, gehen mir auf den Zeiger.
„Was liest du da?“, fragt jemand direkt vor mir. Als ich das Buch herunternehme, sitzt ein kleiner Junge gegenüber und glotzt auf meine Ausgabe von Breathe - Gefangen unter Glas. Vor seinen Füßen steht einer dieser schrecklichen, viereckigen Schultaschen, die man nur bis zur 3. Klasse trägt und halb so groß sind, wie die Kinder selber. Er hat eine laufende Nase, die er sich an seinem Ärmel abwischt.
Beunruhigend…

„Wie man am Besten nervende Kinder häutet“, antworte ich todernst und drehe die Musik lauter. Ich grinse in mich hinein, als der Junge mich mit großen Augen anstarrt. Das Kind stupst seinen Freund an, der gerade ein Motorradspiel auf seinem Handy zockt und mit der Bewegung des fahrenden Motorrads mitgeht, sodass es aussieht, als wäre er geistesgestört. Als der gestörte Junge aufschaut und mich etwas verdattert mustert, sagt sein Freud etwas zu ihm. Ich schließe die Augen und lasse das Buch in meinen Schoß sinken. Vielleicht hilft es ja, sich tot zustellen, bei meinem Hund hat das früher auch funktioniert.
Als ich aufwache, fahren wir gerade in die Endstation ein. Ich stehe auf und lasse mich von dem Strom aus Schülern und Arbeitern mitreißen und geselle mich zu meinen Klassenkameraden an der Bushaltestelle. Ich begrüße sie mit einem kurzen „Morgen“ und widme mich dann wieder meinem Buch. Auf den täglichen Smalltalk, der hauptsächlich darin besteht, sich über die Lehrer zu beschweren und zu beteuern, wie verdammt müde man ist, habe ich heute keine Lust.

Ich habe Glück und ergattere einen Platz im überfüllten Bus, und obwohl es so früh am Morgen ist, ist die Luft schwül und einen Fahne aus Schweiß, Mundgeruch und Deo schält sich von den Fahrgästen ab und macht uns zu einer miefenden Blechbüchse.

In der Schule angekommen … ach das will doch so wie so keiner wissen! Für die die es interessiert: ich mache mein Abitur in Fachrichtung Ernährung Schwerpunkt Deutsch. Das ist einfach nur viel Chemie und Goethe.
Nach dem Unterricht schleppe ich mich Todesmutig ins Fitnessstudio, wo ich meinen ganzen Frust auf dem Cardiogeräten lasse – naja, in Wahrheit bin ich immer bestens gelaunt. Das merkt man daran, dass ich leise mitsinge und mir vorstelle, dass einer meiner Buchcharaktere gerade auf dem Stepper steht, um sich für eine große Schlacht vorzubereiten. Like a Rocky!
Nach dem Steppen geselle ich mich zu den freundlichen Muskelmännern, die sich liebevoll um mich kümmern und mich solange Kniebeuge machen lassen, biss ich glaube, meine Beine fallen gleich ab.

Um kurz nach fünf erreiche ich fix und fertig mein Heim.Mein Gehirn hat für's erste Sendepause.
Ich lasse mich direkt aufs Bett fallen und nachdem ich ein bisschen vor mich hingedöst habe, ist es Zeit, den Laptop anzuschmeißen. Schnell sind E-Mails und Facebook gecheckt und schon geht es an die Arbeit.
Ihr solltet wissen, dass ich meistens mehr als 3 Design-Aufträge gleichzeitig bearbeite, da ich einfach nicht „nein“ sagen kann. Das wird mir häufig zum Verhängnis. Hinzu kommt ein ganz mieses Zeitmanagement (nicht vorhanden) und ein Gedächtnis wie ein Sieb. Trotzdem mache ich meine Arbeit überraschend gerne ;) 

Während ich Photoshop öffne um die Rohfassung eines Covers zu bearbeite, denke ich an meinem Stapel ungelesener Bücher. Mein Blick wandert resigniert zur Taschenbuchausgabe von „Die Landkarte der Zeit“ von Felix J. Palma.
Ich weiß, dass ich keine Zeit finden werde, diesen dicken Schinken zu lesen und tue das einzig Richtige: Ich unterbreche meine Arbeit, um mir das Hörbuch zu besorgen. Als ich meinen letzten Gutschein einlöse und der Download fertig ist, starte ich das Hörbuch und bin angenehm überrascht, als mich die Stimme von meinem Lieblingssynchronsprecher Andreas Fröhlich (Stammsprecher von Bob Andrews aus „Die drei ???“, John Cusack und Gollum aus „Der Herr der Ringe“) willkommen heißt.
Ich mache mich weiter an meine Arbeit und mir fällt auf, dass mir passendes Bildmaterial fehlt. Erneut unterbreche ich mein Schaffen und gehe auf Bilderjagd. Wie ich mich kenne, kann das einige Stunden in Anspruch nehmen und ich werde vor Mitternacht nicht mit dem Entwurf fertig sein.
Munter klicke ich mich durch die Bilderportale, schreibe Fotografen an und lade Grafiken herunter. Im Hintergrund läuft das Hörbuch weiter und ich bin von J. Palmas Schreibstil so sehr angetan, dass ich meine Bildersuche kurz unterbreche, um mehr Bücher von ihm auf meine Wunschliste zu verfrachten.
 Zwischendurch werden noch mal Facebook und Twitter gecheckt und Mail beantwortet. Das Essen, das meine Mutter vor einer halben Stunde hereingebracht hat, steht nun kalt und einsam auf meinem Schreibtisch. Um kurz nach Neun gönne ich mir eine Pause von der Bildersuche und schaue eine Folge von Grey's Anatomy, während ich mein kaltes Reisgemüse esse.
Das Hörbuch spare ich mir für die morgige Bahnfahrt auf.
Wie vorhergesagt bin ich um kurz nach zwölf mit dem Coverentwurf fertig, als mir einfällt, dass ich noch Mathehausaufgaben aufhabe. Ich überlege, ob ich in der Bahn genug Zeit finden werde, um sie zu machen, komme aber zum Schluss, dass ich die Bahnfahrt lieber zum Schlaf nachholen und Felix Palma hören verwenden will.
Ich mache mich an meine Parabeln zu schaffen, dabei driften meine Gedanken immer wieder zu meinem Manuskript ab. Ich lege mir ein Notizheft bereit und schreibe immer mal wieder Ideen auf, um den Kopf frei von Buchideen zu bekommen.
Nachdem ich die Hausaufgaben fertiggestellt habe, bringe ich mein Geschirr in die Küche. Aus dem Schlafzimmer meiner Eltern kommt das leise Surren des Fernsehers. Immer diese Nachtaktiven Menschen! Besonders bei meinem Vater, der gerne die Nacht durcharbeitet und an seinen Modellautos herumtüftelt, ist die Nachtaktivität sehr ausgeprägt. In der Küche sehe ich, dass ich eigentlich schon seit zwei Tagen mit dem Abwasch dran bin. Ich schaue auf die Uhr, es ist 1.
Seufzend lasse ich das Wasser in das Waschbecken ein, dabei höre ich leise Musik - klassische Musik. „Für Elise“ ist mein Lieblingsabwaschlied.
Während ich die Löffel abtrockne und mein Spiegelbild verkehrtherum auf der glänzenden Oberfläche sehe, kommt mir der Gedanke, dass der Plastikbehälter in der Geschirrschublade gar keinen Namen hat. „Geschirrdings oder Organisator“, würde mein Vater jetzt sagen, der gerne mit mir über solche Sachen diskutiert.

Müde schleppe ich mich in mein Schlafzimmer, ich steige ins Bett und lege mich auf die Seite, dabei erblicke ich meinen Schulranzen. „Den kann ich auch morgen noch packen“, sage ich zu mir und drehe mich um.
 
In diesem Sinne an Alle einen erholsamen Sonntag und noch ein traumhaften freien Montag!

Liebe Grüße
Cassy K.

3 Kommentare

  1. Genialer text! :) mir geht es morgens auch so ähnlich, ich bin immer totmüde, aber ich habe nicht das Glück,l mit der Bahn fahren zu müssen.. Ich muss laufen. -.-

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich hoffe, du musst keine Stunde laufen D:
      vielen Dank, dass du vorbeigeschaut hast ;)

      LG
      Cassy

      Löschen
  2. Das klingt nach jeder Menge Stress!
    LG und genieß den Feiertag morgen :-)

    AntwortenLöschen

Deine Meinung liegt mir am Herzen ♥ Wenn du Lust hast, kannst du mir ja ein Kommentar hinterlassen.

Momente

© HERZGEZEITEN • Bücher - Schreiben - Design. Made with love by The Dutch Lady Designs.